Lützerath, das Polizeiproblem und ermüdende Debatten: Eine Chronik

Es war das Großereignis der (deutschen) Klimagerechtigkeitskeitsbewegung in den letzten Jahren: Die Besetzung, die Räumung, die Großdemonstration und die Nachwirkungen Lützeraths haben auch uns als gewerkschaftliche Hochschulgruppe beschäftigt. Deshalb haben wir eine Chronik der Ereignisse zusammengestellt: Zuerst gibt es einen Bericht von der Großdemo. Danach wollen wir anhand einiger Beispiele das #Polizeiproblem darlegen und ihr könnt erfahren, was wir eigentlich von der GdP halten. Und zu guter Letzt geht es um die Bamberger Klimaschutzbewegung, die nach einem öffentlichen Brief ein interessantes Gespräch mit Lisa Badum führen durte. Aber der Reihe nach:

1. Ein Bamberger Reisebericht vom 14. Januar 2023

Am 14. Januar 2023 kamen im rheinischen Kohlerevier bis zu 30 000 Menschen zusammen, um für den Erhalt des Dorfes Lützerath zu protestieren. Der Weiler soll der Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler vom Energiekonzern RWE weichen, Klimagerechtigkeitsaktivist*innen wollen das bis heute verhindern.

Aus dem Nichts kam diese Mobilisierung mitnichten: Vor dem 11. Januar war das Dorf von Aktivist*innen besetzt worden, sie hatten Baumhäuser und eine Infrastruktur errichtet, die Interessierte aus der ganzen Welt angezogen hatte. Am 11. Januar 2023 begann die Polizei mit einem Aufgebot aus 14 Bundesländern die Räumung des Weilers, bis Ende Januar sollte sie noch andauern. Mit der Großdemonstration sahen die Bündnisse eine letzte Möglichkeit, Druck auf die Politik zur Rettung des Dorfes auszuüben.

(Die Botschaft „end coal“ auf einem Acker vor Lützerath, Bild: Martin Müller)

Also wurde bundesweit die geworben und so brachen auch aus Bamberg drei Busse um 3:30 Uhr morgens mit 170 Passagier*innen Richtung Lützerath auf. Gegen halb elf Uhr bot sich der Reisegruppe dann ein erster Blick über das Szenario, als sie an der Aussichtsplattform von Garzweiler Halt machten: „Ich war vor genau zehn Jahren schon einmal hier und hatte dieses Loch viel kleiner in Erinnerung“, merkte ein Aktivist nachdenklich an. Auffällig war hier bereits das gigantische Polizeiaufgebot: Auf den Straßen waren entweder Busse, in denen Demonstrant*innen anreisten, oder Einsatzwagen der Polizei unterwegs. Die drei Bamberger Busse wurden auf ihrem Weg von der Aussichtsplattform zur Demonstration von sechs Polizeiwagen begleitet – für ein Sicherheitsgefühl unter den Reisenden schien das nicht zu sorgen.
Auf dem Weg zur Demonstration zeigten sich Veranstalter*innen und Angereiste von der Menge an Menschen überwältigt, dieses Gefühl blieb auch bestehen, als die Demonstration unter antikapitalistischen Sprechchören durch Kreyenberg zog. Durch Redebeiträge wurde es bisweilen auch emotionaler: So sprach eine Mitorganisatorin der Lützerather Mahnwache davon, dass im öffentlich-rechtlichen Rundfunk lediglich 4% des Sendeanteils an die Klimakrise geht, weshalb wir auch eine Bildungskrise hätten.

Gegen dreizehn Uhr begann sich die Lage zuzuspitzen: Einzelne Gruppen scherten aus der Route aus und brachen querfeldein Richtung Lützerath auf. Daraufhin zogen sich die Einsatzkräfte vor dem Dorf zusammen. Es kam zu mehreren Übergriffen der Polizei auf meist friedliche Aktivist*innen: Hervorzuheben sei hier ein Einsatzkommando, welches Demonstrant*innen, die mit dem Rücken zur Abbruchkante wenige Meter vor dem Tagebau standen, mit den Worten „Zurück, zurück!“ noch näher an die Abbruchkante trieb. Journalist*innen, die von Erdwallen aus versuchten, die Geschehnisse aufzunehmen, wurden nicht selten von Einsatzkräften hinuntergestoßen. Auch der ohnehin oft kritisierte Einsatz von Reiterstaffeln erwies sich hier wieder als gefährlich: Ein Pferd warf eine auf es einprügelnde mittelfränkische Polizistin ab und raste beängstigt über die weiten Felder vor Lützerath, dass es niemanden verletzte, ist dem Zufall geschuldet. Aus den Reihen der Demonstrant*innen wurde diese Gewalt mit dem Zünden von Feuerwerkskörpern und dem Werfen von Schlamm auf die Polizist*innen beantwortet. Die Gegenüberstellung von Polizeikette und Demonstrant*innen dauerte noch bis in die Abendstunden, der Einsatz von Wasserwerfern erwies sich wegen des starken Windes als Fehlkalkulation.
Das bekamen die Bamberger*innen dann nicht mehr live mit, ihre Busse brachen gegen Einbruch der Dunkelheit wieder nach Oberfranken auf.

(Eine Polizsitin verliert die Kontrolle über ihr Pferd, Bild: Martin Müller)

2. Unsere Einschätzung vom #Polizeiproblem und dem Umgang damit

Im Nachgang zu der Großdemonstration wurde die Polizeigewalt viel diskutiert, rückwärtsgewandte und autoritäre Stimmen wie die Interessensvertretung „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP) sprechen trotzdem von einem Erfolg: „Auch wenn gestern mehr als siebzig Polizisten von militanten Braunkohlegegnern verletzt worden sind, hat die Polizei ihr wichtigstes Ziel, eine erneute Besetzung des inzwischen fast vollständig geräumten Dorfes Lützerath zu verhindern, erreicht.“ Menschenverachtende Statements wie diese aus Mündern der Polizei verwundern uns schon lange nicht mehr, wie viele Politiker*innen und Pressevertreter*innen aber auch weiterhin glauben, mit der Polizei bei solchen Einsätzen vor Ort eine unabhängige oder zuverlässige Quelle zu haben, finden wir mehr als bedauerlich. Denn einerseits lässt die GdP in ihrem Statement verletzte Demonstrant*innen völlig außen vor, andererseits zeichnet sie ein völlig verzerrtes und somit falsches Bild solcher Einsätze: Ernstzunehmende Verletzungen kann eine Einsatzkraft mit solch einer Kampfmontur, wie sie Bereitschaftspolizeieinheiten tragen, doch selbst bei Steinbewurf kaum vorweisen und unabhängige Quellen, die Gegenteiliges berichten können, bleiben „Freund und Helfer“ auch wieder schuldig. Und ob die ohne Kennzeichnungspflicht anonymisierten, bewaffneten Einsatzkräfte der Polizei Nordrhein-Westfalens nun wirklich solch bemitleidenswerte Verletztenzahlen aufbringen können, wagen wir nach 2022, in dem die gleiche Polizei in Dortmund zwei Menschen getötet hat, stark zu bezweifeln.
Dass die Jugendorganisation der bayerischen GdP „Junge Gruppe“ dann auf Instagram noch glaubt, ein Video der rechtsdemagogischen Sendung „Achtung, Reichelt“ über Lützerath als „interessanten Beitrag“ teilen zu müssen, beweist zum Schluss, dass Polizeiorgane selbst keine Medienkompetenz besitzen. Wie viel Leid durch das Polizeiproblem muss eigentlich von Halbwahrheiten erzählenden Öffentlichkeitsarbeitsamateuren der GdP noch relativiert werden, bis es in der Gewerkschaftsbewegung dafür endlich Konsequenzen dafür gibt? Wir haben es schon lange satt!(Quelle: Instagram der jungen Gruppe GdP Bayern am 16. Januar 2023)

3. Ein offener Brief führt zu einer hitzigen Debatte

Trotz all der Repression war die Großdemonstration auch für die Bamberger Reisegruppe ein wichtiges Signal. Heike Kettner und Christian Luplow vom BUND Naturschutz, die die Busse organisiert hatten, beschreiben den ereignisreichen Tag rückblickend wie folgt: „Es war beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen trotz der widrigen Umstände gekommen sind.“ Vor allem viele junge Menschen hatten den Weg auf sich genommen. Einige von ihnen sind wie wir in Organisationen aktiv, die einen offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten des Bamberger Wahlkreises für ein Moratorium schrieben. In diesem stellten wir klar: „Während ein unter Zeitdruck entstandenes Gutachten der NRW-Landesregierung die Kohle unter Lützerath als wichtig für die Energieversorgung betrachtet, kommen unabhängige Studien zum gegenteiligen Ergebnis. […] Die Inszenierung der momentanen Energiekrise, um wissenschaftlich fragwürdige Maßnahmen zu Gunsten der Konzerninteressen von RWE durchzusetzen, verurteilen wir.“

Zwei Antworten erreichten uns zu diesem Schreiben: Andreas Schwarz (SPD) watschte den offenen Brief mit einer inhaltlosen Offenheit für „konstruktiven und kritischen Dialog“ ab und meinte gar an die Aktivist*innen appellieren zu können: Wir dürften „Gewalt und eine Spaltung unserer Gesellschaft nicht zulassen.“ Ob er der Polizei auch solche Briefe schreibt, weiß wohl nur der Wind, der über die kahlen Felder vor der Lützerather Abrisskante weht. Und dass es eine Doppelzüngigkeit darstellt, Gewaltfreiheit von ohnehin meist friedlichen Demonstrant*innen zu fordern, im Bundestag aber für die Weiterführung von Militäreinsätzen im Mittelmeer zu stimmen, die als Beihilfe zum Völkerrechtsbruch verstanden werden, wissen wir alle.
Interessanter wirkte da zunächst die Einladung von Lisa Badum (B90/Die Grünen) zu einem Gespräch exakt eine Woche nach der Demo in Lützerath. Aber auch dieses begann nach einer Vorstellungsrunde mit vielen Lippenbekenntnissen: Es gäbe ja leider keine Mehrheiten für den Klimaschutz, die Grünen hätten ja bereits genug gegen die Klimakrise getan und außerdem könne sie es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren, sich für eine Rettung Lützeraths einzusetzen, da es ja einen Gerichtsbeschluss für den Abriss gäbe.
Besonders das stieß der Menge aber sauer auf, ein Aktivist fragte daraufhin: „Jetzt sagen Sie mir, Sie können es mit Ihrem Gewissen nicht vereinbaren, Lützerath zu retten, da es einen Gerichtsbeschluss dagegen gibt. Vor wenigen Tagen sagte Franziska Giffey in Berlin nach einem gerichtlichen Sieg der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, sie könne Enteignungen trotz eines Gerichtsbeschlusses nicht mit ihrem Gewisse vereinbaren. Was erwarten Sie eigentlich für eine Art von Protest nach solchen Aussagen?“ Frau Badum versuchte die Gemüter daraufhin zu beruhigen und gab zu verstehen, dass sie als ehemalige „Hambi-bleibt“-Aktivistin das natürlich mit dem Gewissen vereinbaren könne, schlicht aber keine Chance auf eine Rettung sieht. Da sich nun etwas Verwirrung breit machte, wollten einzelne Aktivist*innen auf den eigentlichen Grund des Treffens zurückkommen: „Die Kohle unter Lützerath ist ja noch im Boden, deshalb fordern wir von Ihnen, sich für ein Moratorium einzusetzen, damit sie nicht abgebaggert wird.“
Eine Antwort blieb Lisa Badum vorerst schuldig, wollte die jungen Menschen allerdings mit der Aussage „aber ein Kohleausstieg 2030 ist doch besser als 2038“ beschwichtigen: „Ja wenn dann aber die ganze Kohle unter Lützerath bis 2030 abgefackelt ist, werden die Klimaziele trotzdem nicht eingehalten“, lautete eine der durcheinandergerufenen Antworten. Das Gespräch leitend und in dieser Frage kein Vorwärtskommen sehend, verwies Frau Badum darauf, noch etwas über die Gewalt auf der Demonstration zu reden, dazu sagt sie als bayerische Bundestagsabgeordnete eingangs: „Ich bin wütend und unzufrieden mit den Grünen wegen Lützerath“. Ein ernstes Interesse an Opfern von Polizeigewalt stand ihr ebenfalls förmlich ins Gesicht geschrieben, als ein Aktivist von seiner Malträtierung durch die Ordnungshüter*innen erzählte. Die Rückfrage „Hast du das denn gemeldet?“ erntete allerdings Hohn und Empörung, gibt es doch in Nordrhein-Westfalen keine Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen.
Ab diesem Zeitpunkt wurde die Diskussion immer hitziger, weshalb Frau Badum für Zusammenhalt warb: „Die Wut ist da, wir müssen sie gemeinsam kanalisieren!“ Doch die Aktivist*innen machten ihr klar, dass die Wut sich auch gegen sie richtet: „Jungwähler*innen haben sehr viel Grüne gewählt [bei der Bundestagswahl. Anm.], um mehr Kohleabbau zu verhindern, da sind sie schlicht belogen worden!“ Daraufhin fragte Lisa Badum erneut, was sie denn machen solle und bekam die Antwort, sie möge sich für ein Moratorium einsetzen nun etwas lauter und aus mehreren Mündern zugleich zu Ohren gebracht. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt des Gesprächs brach eine Aktivistin sogar in Tränen aus, eine andere gab zu verstehen, dass sie nach solch einem ergebnislosen Gespräch eigentlich gern eine Schreitherapie machen würde. Lisa Badums Antwort „Gut, dann ist das halt so“ wurde zwar nicht gut von der Menge aufgenommen, änderte an der Atmosphäre aber auch nichts mehr.
Dem Zeitdruck einer Abgeordneten und der argumentatorischen Sackgasse, in der dieses Gespräch endete, geschuldet, bedankte sich Lisa Badum bei den Anwesenden für das Gespräch und verließ nach den Aktivist*innen den Besprechungsraum. Im Nachgang schrieb sie auf Instagram, sie könne viel von der Kritik an den Grünen verstehen und das unermüdliche Engagement der Klimaaktivist*innen gebe ihr Hoffnung. Wir haben in diesem Gespräch leider wenig Hoffnung gespürt und fanden es sehr ermüdend. Natürlich geht der Kampf der Klimagerechtigkeitsbewegung, an deren Seite wir solidarisch stehen, weiter – solche Gespräche helfen unserer Ansicht nach dabei aber nicht, sondern wecken nur unter dem Feigenblatt des offenen Gesprächs zur demokratischen Mitbestimmung das Gefühl, die Grünen wollen es sich mit den Stammwähler*innen nicht verscherzen.(Quelle: Instagram von Lisa Badum am 21. Januar 2023)

So endet auch für uns ein etwas längerer Rückblick auf die Lützerather Ereignisse im Januar. Wie ihr lest, hängt dieses klimapolitische Debakel für uns Gewerkschafter*innen mit vielen anderen Fragen zusammen und wir sehen es als unsere Pflicht, uns ihnen zu stellen. Zu großem Dank sind wir der Klimagerechtigkeitsbewegung in Bamberg verpflichtet, mit der wir gemeinsam schon auf Klimacamps oder bei Streiks von Busfahrer*innen zusammenarbeiteten. Ja, wir sind alle wütend und wollen diese Wut auch kanalisieren, wir nehmen auch alle gern in dieser wütenden Bewegung mit – aber wer in politischer Verantwortung nicht mehr für diese Bewegung handelt, muss sich mindestens Kritik von uns anhören – egal welches Parteibuch die Brieftasche schmückt. Der Widerstand wird weitergehen!(Bild: Martin Müller)

Ein Gedanke zu „Lützerath, das Polizeiproblem und ermüdende Debatten: Eine Chronik“

  1. Klasse Beitrag!
    War selbst in L und ziehe dieses Jahr nach Nähe Hof. Willkommen Kontakt auch zu „Ende Gelände‘ BBG

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